Die Vorbereitung

Der Megamarsch – ein Spendenlauf, bei dem man insgesamt 100 Kilometer in 24 Stunden zu Fuß bewältigen muss. Klingt simpel, richtig? Das dachten wir (ein kleiner Haufen von Verrückten) uns vor rund einem Jahr auch als wir abends zusammensaßen. Dann hat man sich das ganze noch mal durch den Kopf gehen lassen und das Rechnen begann: bei einer normalen Wandergeschwindigkeit von 5km/h braucht man für 100 Kilometer 20 Stunden; bleiben 4 Stunden zum verpflegen und kurzem Ausruhen – klingt machbar, viel Puffer bleibt jedoch nicht …

… Das merken wir auch nach unserem ersten Testlauf im Januar 2018: unsere Geschwindigkeit betrug nur 4,5km/h. Zu viele Pausen und sehr steiles Gelände machten uns langsam. Jedoch dachte zu dem Zeitpunkt auch noch keiner an den Megamarsch. Es war ein erstes Reinkommen, ein Beschnuppern mit der Materie selbst und diejenigen, die noch nie Wandern waren, merkten auch: es wird kein Spaziergang.

Unser zweiter Testlauf war als Trainingslauf noch suboptimaler: im März hat es tatsächlich nachts noch mal so geschneit, dass der gesamte Taunus weiß war. Folge: noch geringere Geschwindigkeit, jede Menge blaue Flecken und immer noch nicht viel Erkenntniss ob wir in der Lage sind den Megamarsch zu laufen. Wir mussten umdenken.

Was folgte, waren einige Testläufe auf Asphalt und in ungefährer Marathondistanz. Glücklicherweise lässt sich’s um Frankfurt herum wunderbar wandern und der Grüngürtel wurde von uns in zwei Etappen abgewandert. Und siehe da: 40 Kilometer sind möglich, die erste Urkunde, die man beim Megamarsch erhält, wäre also drin gewesen. Doch wir haben Blut geleckt. Nächster Halt: 60 Kilometer.

Auf dem Weg von Frankfurt nach Bad Soden-Salmünster

Wir schreiben den 2. Juni: unsere bisher längste Distanz stand auf dem Programm. Frankfurt nach Bad Soden-Salmünster. 62 Kilometer, wobei die letzten 20 Kilometer mit Steigungen mit bis zu 20% noch mal anstrengend werden sollten. Was uns dann erwartete, nennen wir heute immer noch unliebevoll die „grüne Hölle von Hanau“: über 4 Stunden wurden wir von Stechmücken dermaßen gejagt, dass wir wedelnd und stellenweise rennend den Wald hinter uns ließen um nicht blutrot herauszukommen. Das zerrte selbstverständlich an unseren Kräften und wir mussten unseren ersten Abbruch einer Teilnehmerin bei einem Testlauf auf Kilometer 50 verzeichnen. Der Rest fiel völligst ausgelaugt im Ziel ein – ich selbst hatte eine Dreiviertelstunde mit Schüttelfrost zu kämpfen, weil ich komplett unterzuckert war, jedoch aufgrund von Übelkeit nichts reinbekam. Wie war das noch mal? Megamarsch: 100 Kilometer in 24 Stunden … puhhh, das wird vielleicht was.

Ich musste umdenken. Meine größte Schwachstelle war also die Energiebereitstellung. Doofer Stoffwechsel! Ich entschied mich dazu, in den nächsten Monaten Distanzen über 30 Kilometer zu meiden und einfach im Alltag viel zu laufen, laufen, laufen und gewichtstechnisch möglichst viel zuzulegen (das ist für mich nicht so einfach, wie es sich anhört). Die letzten drei Monate versuchte ich also im Alltag viel zu gehen (rund 10-15 Kilometer), am Wochenende Distanzen von 20-30 Kilometern am Stück zu bewandern und zu essen, essen, essen. Und dann kam die letzte Woche.

Montag und Dienstag habe ich mir noch mal Kraftsport gegönnt (Intensität runter, Wiederholungen hoch auf 12), Mittwoch Sauna, Donnerstag Massage und ab Mittwoch: Carboloading des Todes. Müsli mit 3-4 Portionen Obst zum Frühstück, Milchreis zwei Stunden später, Nudeln oder Reis zum Mittag und zu Abend, dazwischen immer wieder Obst, Zuckerwasser (Dextrose) und noch mehr Milchreis und High Carb Riegel. 5000 bis 7000 kcal am Tag – wenn dann richtig. 

Die letzte Nacht davor war glücklicherweise recht lang. Ich bin extra später ins Bett gegangen damit der Schlaf nach hinten verschoben wird. Die Essensportionen am Megamarsch Tag wurden kleiner und um 12 Uhr kam ein kleiner Mittagsschlaf dazu, immerhin wird beim Megamarsch nicht geschlafen.

Das Gepäck

Die Packliste wurde absichtlich kurz gehalten. Viele Sachen, die auf früheren Wanderungen dabei waren, wurden absichtlich daheim gelassen um das Gewicht möglichst gering zu halten, darunter ein Messer, Franzbranntwein, verschiedene Kinesiologische Tapes und keine große Verpflegung.

Was jedoch auf jeden Fall mitkam, war 250 Gramm selbstgemachtes Seitan-Jerky, da auf der Wanderung die Muskeln ordentlich belastet werden und Seitan mit 40 Gramm Eiweiß auf 100 Gramm eine Proteinbombe ist. Die Wahl der Riegel fiel auf Oatsnacks, die für jede ungerade 10er Kilometerzahl angedacht waren (insgesamt also 5). Zusätzlich 300 Gramm selbstgemischtes Pulver fürs Getränk, bestehend aus 72 Gramm Dextrose auf 1,2 Liter Wasser (so viel sollte jede 20 Kilometer aufgefüllt werden), BCAAs (als Schutzfunktion für die Muskulatur), 3 Gramm Calciumascorbat (als Schutzfunktion für freie Radikale) und ein wenig Salz für den Elektrolytenhaushalt. Magnesium hatte ich in Tablettenform dabei und für den Notfall Coffeintabletten, die jedoch nicht angefasst wurden. Das Wasser kam aus einer Trinkblase von Source.

Die Bekleidung bestand bei mir aus einer kurzen Funktionshose von Alpine Pro Outdoor , einem langärmigen Funktionsshirt von Asics und einem Hoodie von Under Armor. Gestartet bin ich mit Falke Wandersocken und im Gepäck waren noch zwei Paar Kompressionsstrümpfe von Danish Endurance. Die Wahl der Schuhe fiel nach vielen Experimenten auf die Schweizer von On-Running.

Der Marsch

Und die Uhr schlug 15. Genau das war die Zeit zu der wir uns zur Bahn begaben um loszulaufen und 24 Stunden nicht mehr damit aufzuhören. Meine Laune wurde jedoch gleich am Anfang gut ausgebremst. Die Menschenmassen (insgesamt 1706 Teilnehmer) füllten die Wiese aus um am Megamarsch teilzunehmen. Der Kopf spielte nicht ganz mit, ich wurde ruhiger und kapselte mich ein wenig von meiner Gruppe ab – das ist einfach nicht mein Setting. Was folgte, waren 90 Minuten warten, damit wir in der letzten Startgruppe loslaufen konnten, da nicht alle gleichzeitig durch die Startlinie gehen sollten.

Puh … ein ziemlicher Pulk und er zog sich einfach nicht auseinander. Wir verursachten kleine Staus in Eschborn, sorgten für neugierige Blicke und wanderten langsam aber sicher in Richtung Feld. Das Tempo betrug 5km/h – zu langsam für unsere Gruppe, die meist mit 5,6km/h gelaufen ist. Wir fühlten uns ausgebremst und ich kam nicht in meine Wohlfühlzone. Ich hatte das Gefühl, ich breche den Megamarsch bei 20 Kilometer ab, weil: kein Bock. Die Strecke zog sich und das Feld mit ihr.

Kurz hinter Eschborn

Langsam veränderte sich die Szenerie, alles wurde in ein tiefes Orange der Abendsonne getunkt und die Abstände wurden größer. Das ist Wandern, wie ich es liebe: die Natur erleben, zu sich finden und sein eigenes Ding machen. Mein Kopf beruhigte sich nach spätestens 10 Kilometern, ich wurde heiterer und meine Stimmung war schlagartig gut. Ich fing an in Etappen zu denken, lies meine Routine wieder spielen. Ich sagte mir: jede 10 Kilometer Jerky und Oatsnacks essen, jede 20 Kilometer Wasser auffüllen, Banane, Apfel, Riegel zu sich nehmen, 5 Minuten die Beine senkrecht hochlegen und weiter gehts. „Swift as a deer, calm as still water“ wurde zu meinem Mantra (Danke George R.R. Martin).

Und so war es dann auch als wir bei Versorgungsstation Nr. 1 des Megamarsch nach 20 Kilometern einkehrten. Essen abholen, Wasser auffüllen, Wasser wegbringen, Beine hochlegen und weiter gehts. Jedoch alles viel zu stressig. Die erste Station war noch völligst überlaufen und weil wir so ziemlich als letztes losgelaufen sind, auch völligst leergefuttert. Riegel waren keine mehr vorhanden und ich hatte Glück, dass ich überhaupt noch eine Banane abbekommen hab. Gerüchte von Brötchen, die längst weg waren, verärgerten nur. Schnell wurden noch die Socken getauscht, da die Nacht bevorstand und ich unbedingt Kniestrümpfe mit der kurzen Hose brauchte und der Hoodie noch übergezogen.

Weiter gings auf dem für mich schönsten Abschnitt der Strecke: klarer Sternenhimmel beflügelte mich und ich fühlte mich wie ein kleines Kind auf einem Abenteuer. Ich liebe die Nacht und ich liebe die Sterne. Das Wetter war gütig mit uns und bereitete mir dadurch die Freude die 20-40 Kilometer spielend wegzustecken.

Die zweite Megamarsch Station war auf einem Parkplatz einer Schule bei der die komplett überfüllten sanitären Einrichtungen genutzt werden konnten. Ich wusste, dass mich die Menschenmasse wieder runterziehen würde und verzichtete freiwillig auf die Toilette. Also wieder das gleiche Spiel: Apfel, Banane, Riegel und Beine hochlegen. Wasser mit Pulver auffüllen und Socken wechseln. Langsam spürte ich die Kälte der Nacht viel stärker als beim Laufen. Ich merkte, wie ich auskühlte und vermutlich nicht lange pausieren konnte. Die kurze Hose stellte sich als sportliche Wahl heraus, obwohl ich die Kälte mag. Den Unmut der anderen Megamarsch Teilnehmer spürte ich auch um mich herum: die ersten stiegen aus, viele wirkten sichtlich müde und das Blaulicht wurde zum stetigen Begleiter von da an. 

Der nächste Abschnitt wurde für mich zur größten Prüfung: meine Müdigkeit führte zu regelmäßigen Sekundenschlafs, die ich zu kontrollieren versuchte. Ich dachte mir Spielchen im Kopf aus, zählte Sterne, versuchte im Kopf das Periodensystem aufzusagen und Aminosäuren zu malen, nickte jedoch immer wieder während dem Laufen ein. Die rettende Lösung kam in Form von Musik schlussendlich: mein Lieblingsalbum von Machine Head wurde auf die Ohren gezogen, das Schritttempo erhöht und konzentrierte mich voll und ganz darauf, die Lyrics innerlich mitzuschreien. Ich hängte meine Gruppe auf den letzten 5 Kilometern ab, wissentlich, dass ich sie bei der nächsten Versorgungsstation wieder sehen würde. Ich musste nur diese Nacht überstehen …

… Und ich tats: der Main lag vor mir, ich wusste Versorgungsstation Nr.3 vom Megamarsch ist zum greifen Nahe. Und hier entwickelte sich mein nächstes Problem, das mich bis zum Ende hin verfolgen sollte: ich konnte nichts mehr essen und Wasser musste ich pur trinken, sonst ging nichts rein. Ich zwang mir jedoch trotz großem Widerwillen liegend zwei Riegel und einen Apfel herein, die sich fast verabschiedeten, als ich wieder aufstand. Schlechte Idee, „lass‘ das nicht mehr wiederholen“, sagte ich mir. Meine Gruppe trudelte wenige Minuten später ein und dann die große Überraschung: zwei der Teilnehmer steigen aus. Die Schmerzen zu groß, Fuß und Rücken dahin. Ich war verwundert und ein wenig in Sorge: wenn sie jetzt aussteigen, wie weit komme ich dann?

Ich sollte es herausfinden. Mein ursprüngliches Ziel waren 80 Kilometer, da ich wusste, wenn ich dort einlaufe, ist der Ansporn vermutlich so groß, dass ich bis zum Ende die Arschbacken zusammenkneife. Also sind wir von der vorletzten Megamarsch Station los, wissentlich, dass in Kürze die Sonne aufgeht, worauf ich mich ganz besonders gefreut hab. Dies geschah dann tatsächlich südlich am Mainufer. Man merkte sofort die Wärme am Körper und die Müdigkeit verschwand aus dem Kopf. Der Satz „ich glaube, wir können die Stirnlampen ausziehen“ war eine Wohltat für die Seele. Uns war nun klar: wir schaffen das Ding!

Nebel und Sonnenaufgang am Mainufer

Und so wanderten wir bis nach Heusenstamm wo die nächste Versorgungsstation auf uns wartete. Doch gefühlt, kam und kam sie nicht. Aus angenehmer Wärme wurde leichte Hitze und die Felder strahlten Trockenheit aus. Der Durst stieg wieder und mit ihm das Verlangen nach der letzten Megamarsch Versorgungsstation. Als diese dann endlich kam, fanden wir einen gemütlichen Biergarten in denen die meisten ausgelassen und gut gelaunt noch ein mal Kraft tankten. Wir gönnten uns einen Kartoffelsalat, Salzstangen und Riegel von der Gaststätte und der Megamarsch Station und mobilisierten unsere letzten Kräfte. Die Füße waren müde, der Rücken erschöpft – die Laune jedoch unermesslich gut. Wir sagten uns ständig: war schaffen gleich den Megamarsch.

Mit dieser Euphorie sind wir auch auf die letzten 20 Kilometer losgelaufen. Lachend, vorfreudig es bald geschafft zu haben und mit der Aussicht ins Ziel zu fallen. Die ersten 10 Kilometer freundeten wir uns mit einer fremden Gruppe an, was die Zeit schnell vergehen ließ. Die letzten 10 Kilometer sollten sich jedoch noch mal zu den anstrengensten Megamarsch Kilometern entwickeln. Die Hitze stieg, mein Unvermögen etwas zu essen oder zu trinken setzte wieder ein und ein ständiges Berg auf, Berg ab, setzte den geplagten Füßen noch weiter zu. Als ob sie vom Asphalt nicht schon genug gelitten hätten! Ich fing an, Kilometer für Kilometer auf meinem Handy herunterzuzählen um meine restlichen beiden Mitläufer noch motivieren zu können. „Noch 10 Kilometer, noch 9 ….“ und dann … irgendwann „100 Kilometer, wir sind mega!“. Leider hatten wir noch weitere 3 Kilometer vor uns, da der Megamarsch Veranstalter eine gute Schleife in Langen eingebaut hat um uns auf einer Zielgeraden einlaufen zu lassen (so nehme ich zumindstens an). Diese fühlten sich an wie die reinste Schikane, so kurz vor dem Ziel noch mal über eine halbe Stunde Berg auf, Berg ab zu laufen. Hier zogen wir auch an einigen Zombies vorbei – so nannten wir liebevoll die Läufer, die sehr geistesabwesend dem Ziel entgegenhumpelten. Auf den letzten Metern kamen uns dann unsere Abholung entgegen, feuerte uns an und begrüßte uns mit einem Schild im Einlauf. Es wurden Medaille, Handschlag, alkoholfreies Bier und Urkunde überreicht. Wir hatten nach 23 Stunden und 20 Minuten schlussendlich 103 Kilometer zurückgelegt.

Da waren wir also: am Ende einer Reise, am Ende eines Abenteuers. Unser Ziel wurde erreicht und wir fühlten uns … unverändert. Selbstverständlich erschöpft, erleichtert es überstanden zu haben und glücklich es geschafft zu haben, jedoch nicht erleuchtet und nicht wie ein neuer Mensch. Schlussendlich bleibt der Weg doch das Ziel.

Nach dem Megamarsch

Eine Woche ist nun vergangen und ich kann zum Glück sagen, dass ich sämtliche Megamarsch Blessuren hinter mir gelassen habe. Mein Magen brauchte insgesamt zwei Tage bis er wieder normal arbeitete, meine Füße konnte ich nach drei Tagen wieder zum Gehen längerer Distanzen benutzen und mein Schlafrhythmus hat sich nach ebenfalls drei Tagen normalisiert. In der ersten Nacht gönnte ich mir elfeinhalb Stunden Schlaf und einen sehr entspannten Montag.

Bleibt also die Frage am Ende, die meist von Außenstehenden gestellt wurde, wenn ich über den Megamarsch erzählt hab: „Warum macht man so etwas?“. Wie sich im Nachhinein herausstellt, ist die Antwort darauf recht simpel: „Weil man es kann!“. Um dies jedoch herauszufinden, muss man es aber erst einmal versuchen, scheitern, umdenken, wieder versuchen, sich vorbereiten und dann schlussendlich durchziehen. Genau das hab ich daran geliebt: die Planung drum herum, das Erstellen von Wanderstrecken, die Essensplanung für den Megamarsch Lauf, das überwinden bisheriger Grenzen und die Bestätigung alter Weisheiten: wenn man fest genug an etwas festhält, kann man alles erreichen. Also dann: bis zur nächsten Herausforderung!


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